Ralf Hiemisch, Fotograf
Ulli Pawlas | Alexander-Technik Lehrerin
Textportrait by Stefanie Erdrich
Ich bin Fotograf und fotografiere Menschen.
Ich mag das Pure und ich mag, wenn es in einem schönen Licht ist.
Ich mag Raum, ich mag Abwesenheit und ich mag, wenn die Leute sich zeigen.
Ein Grund, warum ich fotografiere ist, ich lerne Menschen kennen. Ich komme mit den Menschen in eine Art von Kontakt, der mein Leben bereichert. Und wenn es ein guter Kontakt ist, dann entsteht ein gutes Portrait.
Die Menschen bekommen von mir ein Portrait, auf dem sie so aussehen, wie sie aussehen. Das haben sie irgendwann angefangen, mir zu sagen. Scheinbar sehe ich Leute so, wie sie sind und habe ein Gespür dafür, welches Potenzial in ihnen vorhanden ist. Das ist mir gegeben. Ich sehe die Leute so, ich nehme diese Welt so wahr. Und es gibt ein großes Bedürfnis der Menschen, gesehen und fotografiert zu werden, wie sie sind.
„In jedem ruht ein Bild dessen, was er werden soll, solange er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.“ (Angelus Silesius) Dieser Satz bringt es auf den Punkt.
Zeit ist Veränderung
Was mich hierhergebracht hat ist, dass mich viele Leute berührt haben. Dass ich dadurch sehr viel von Menschen gelernt habe.
Früher habe ich mich einfach hingestellt und Portraits von Leuten gemacht. Doch ich bin beim Fotografieren auch so eine Art Wissenschaftler. Ich habe die ganze Zeit immer wieder untersucht: Was geschieht hier? Was passiert genau? Es gibt verschiedene Arten, wie Menschen auf diese Situation reagieren. Das erforsche ich. Und heute ist es so, dass ich oft weiß, was in bestimmten Situationen geschieht, weil ich es schon so oft erlebt habe. Wenn ich Menschen fotografiere, variiere ich dennoch jedes Mal. Es ist eigentlich nie jedes Mal dasselbe, aber es ist auch nie jedes Mal verschieden.
An einem schwierigen Punkt in meinem Leben habe ich angefangen, mich für Körperarbeit und therapeutische Methoden zu interessieren: Alexander-Technik, QiGong, TaiChi, Gestalttherapie. Dabei habe ich eine der verblüffendsten Dinge an mir selbst festgestellt: Es ist gar nicht statisch, wie ich bin! Ich kann ganz viel sein. Es geht eine Art von Veränderung mit mir vor, von der ich überhaupt nicht wusste, dass sie möglich ist. Ich hatte ein gewohntes Bild, wie ich die Welt wahrgenommen habe, das war relativ allgemein. Ich im Leben, wie ich agiere. Was ich mit meinen Sinnen wahrnehme, Sehen, Hören, Tasten. Ich bin davon ausgegangen, das ist so und das wird immer so bleiben. Für mich war es überraschend festzustellen, dass meine Wahrnehmung veränderbar ist, daraus kann eine Art Flow entstehen, wie ein Mysterium.
Wenn ich Menschen fotografiere und diesen Flow erlebe, reguliere ich mich und dadurch indirekt auch die Leute ganz leicht. Das eine reduziere ich ein bisschen, das andere stimuliere ich ein bisschen. Und dadurch entfalte ich mich und die Person.
Mit sich und der Außenwelt
Es gibt immer wieder besondere Portraits in meinem Leben, totale Wendepunkte, mir fallen sofort drei ein. Ich mache ein Portrait von einem Menschen, dann bemerke ich beim späteren Betrachten etwas Neues, das mich absolut fasziniert. In diese Richtung muss ich weiteregehen.
Es gibt Menschen, die sind die ganze Zeit zurückgezogen. Dann sind sie ganz bei sich und nicht in Kontakt mit der Außenwelt. Es gibt Menschen, die sind sehr in Kontakt mit der Außenwelt und überhaupt nicht mehr in sich. Das sind die Extremformen. Es gibt etwas dazwischen und manchmal wechselt es auch. Das Außen und das Innen ist, wenn ich fotografiere, das einzige, was ich reguliere. Ich entdecke gemeinsam mit den Menschen eine Art natürlichen Zustand, in dem sie im gleichen Maß sowohl mit sich und mit der Außenwelt in Kontakt sind. Wenn das gelingt, dann fragt sich der Betrachter nicht mehr, ob das Portrait gut oder schlecht ist und es erscheint auf eine Art und Weise total einfach.
Konzept und Flexibilität
Als ich die erste Alexanderstunde genommen hatte, da war mir völlig klar, es reguliert etwas Gutes. Ich fühlte mich verbundener in der Welt. Das ist eine Wahrnehmungsebene, auf der ich sehe, wie Dinge sich verändern. Von denen ich früher gedacht habe, sie sind gar nicht veränderbar. Alexander-Technik basiert auf einem Konzept von Innehalten. Innehalten hat mir geholfen, aus einer gewohnheitsmäßigen Verklebung herauszukommen.
Innehalten kann Raum für neue Wahrnehmung und Bewegung schaffen.
Ich achte darauf, dass ich beim Fotografieren nicht in meinem Konzept erstarre. Ich habe zwar ein Konzept, das gibt mir Sicherheit. Aber innerhalb dessen bin ich vollflexibel. Eines der wichtigsten Dinge, die ich in meinem Leben gelernt habe ist es, in bestimmten Momenten das Konzept total zu verändern. Es ist gut, sich etwas vorzunehmen. Es ist auch gut, zu planen. Doch dann über Bord damit in bestimmten Momenten.
Das war neulich so bei einer Frau. Ich war in meinem Konzept, dann kam der entscheidende Impuls von ihr. Und es wurde ein tolles Portrait. Es ist wichtig, dass ich zuhöre. Und dann Entscheidungen treffe. Das kann auch bedeuten, dass ich Vorschlägen ganz bewusst nicht hinterher gehe. Weil ich aus Erfahrung weiß, dass es nirgendwohin führt.
Kontakt und Verbindung
Durch das Fotografieren ist meine Empathie stärker geworden. Wenn ich mit Leuten zusammen bin und sie fotografiere, dann geht ein Teil meiner Aufmerksamkeit darauf, wie fühlt sich dieser Mensch und wie fühle ich mich. Ich beobeachte. Wenn ich Leute fotografiere, ist mir der Kontakt wichtiger als das gute Portrait. Beim Fotografieren erkläre ich gerne, was ich gerade mache. Denn es geht nur darum, Kontakt und Verbindung herzustellen, es dient dazu, zusammen Lebendig zu sein. Es geht nicht darum, etwas zu machen und der andere weiß das nicht.
Bei meinen Workshops für Portraitfotografie beobachte ich von außen, woran ich seit Jahren bin, um es für mich selbst zu verstehen. Wir arbeiten am Kontakt. Doch wenn die Leute sich gegenseitig fotografieren, erlebe ich immer wieder, dass ihnen ihre Komposition oder künstlerische Idee wichtiger ist, als der Mensch gegenüber. Dabei ist die Komposition im Grunde genommen viel unwichtiger, als der Kontakt. Die Komposition entsteht sogar auch noch aus dem Kontakt. Die bekomme ich oft mitgeschenkt, wenn es eine lebendige Verbindung gibt.
Erstarrung auflösen
Was Menschen aus dem Kontakt mit der Welt bringt, ist eine Art von Überkonzentration. Eine Überfokussierung auf bestimmte Dinge dieser Welt. Als ich das verstanden habe, dachte ich zuerst, wie verrückt muss ich sein, auch noch zu fotografieren! Beim Fotografieren geht es um nichts anderes, Fotografieren ist Fokussieren. Es gibt das Portrait, es gibt das Objektiv, wo Leute hineinschauen, es gibt diese ganze Erstarrtheit. Fotografieren kann ein Motor sein, das noch zu Verschlimmern, was sowieso schon das Problem ist. Die Kamera kann störend oder verbindend sein.
Inzwischen weiß ich, dass man beim Fotografieren die Überfokussierung eben nicht zwangsläufig verstärkt, sondern dass ich sie auflösen kann. Die Auflösung davon ist das, worum es mir geht. Es geht darum, die Erstarrung aufzulösen. Im Leben und auch beim Fotografieren. Andersherum ausgedrückt, in Bewegung zu bleiben, im Fluss zu bleiben. Das ist das Ding.
Ich bin froh, dass mir im Leben das passiert ist, was mir passiert ist. Ich bin froh, dass ich mir heute meine Arbeit so gestalten kann, dass sie mir gut tut. Dass ich mir meine eigene Neugierde bewahre, nicht abstumpfe, sondern in Kontakt gehe mit dem Leben. Das ist, wieder wie ein Kind zu werden: im Kontakt mit der Welt über die Sinne zu sein.
Darin steckt eine Seligkeit. Und das ist machbar.